Cook mal!
Selberkochen macht unabhängig, sagt Michael Pollan. Ich habe den Schriftsteller und Food-Aktivisten in seinem Garten zwischen Bohnen, Kräutern und dem Hipster-Favoriten Kale in Berkeley, Kalifornien, getroffen, um mit ihm über die Macht der Nahrungsmittelindustrie, die Kosten der Fertignahrung und die Leichtigkeit des Kochens zu reden. Vor ihm steht ein Pappbecher mit Kaffee, den er in der Mikrowelle erhitzt hat.
Die englische Version ist hier
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Herr Pollan, mit “Kochen”, Ihrem Buch, das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist, wollen Sie Menschen zurück an den Herd schreiben. Warum sollen wir wieder mehr kochen?
Der Koch ist mit das wichtigste Element einer guten Ernährung. Wer für uns kocht, hat enormen Einfluss auf unsere Gesundheit. Zuhause kochen wir meist mit weniger Salz, Zucker, Fett und künstlichen Zutaten als beispielsweise Fast-Food-Konzerne und Hersteller vieler Tiefkühlfertiggerichte. Wer selber Essen zubereitet, isst automatisch gesünder.
Wollen Sie den Lesern helfen, die Kontrolle über ihre Ernährung von der Nahrungsmittelindustrie zurückzuerobern?
Das ist das Ziel. Seit ich über die Nahrungsmittelkette schreibe, zielt mein Werk auf die Nachhaltigkeitab. Nicht nur der Gesundheitszustand unserer Gesellschaft hat ein Problem, sondern auch unsere Umwelt. Was und wie wir essen, macht uns und unseren Planeten krank.
Fertigmahlzeiten sind oft die billigste aller Alternativen, um zu essen.
Sie sind nicht so günstig wie sie scheinen. Vor allem nicht, wenn jedes Familienmitglied ein anderes Fertiggericht aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt wählt. Selber kochen kann hingegen sehr sparsam sein. Insbesondere, wenn man für mehrere Tage kocht, und eine Mahlzeit die nächste speist. Man bereitet ein Huhn zu, die Resten geben eine Suppe am nächsten Tag ab und so weiter. Das ist extrem kostensparend. Und mit der Zubereitung größerer Mengen gewinnt man viel Zeit. Man kann mit ein paar Eiern, Gemüse und ein bisschen Olivenöl oder Butter eine Frittata machen. Für eine große Familie nimmt man halt einfach ein Dutzend Eier. 20 Minuten für eine tolle Mahlzeit!
Viele Leute haben keine Zeit, ohne Fertigprodukte zu kochen, und diese sind auch nicht alle per se immer ungesund.
Ich verlange nicht, dass man ohne industriell hergestellte Nahrung kochen soll. Ich komme auch nicht ohne aus und koche etwa viel mit Tomaten oder Kichererbsen aus der Dose. Tiefgekühltes Gemüse wie Spinat ist bei uns an der Tagesordnung. Diese Art industriell verarbeiteter Lebensmittel, bei der ein oder zwei Produkte im Spiel sind, ist durchaus ein Segen. Ich will auch nicht Mehl selber mahlen, um mal eben einen Kuchen zu backen.
Michael Pollan ist der angesehenste US-Kritiker der industriellen Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung. 2010 setzte ihn das Magazin “Time” auf seine Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Der Journalist und Schriftsteller schreibt seit 25 Jahren Bücher über die Missstände der Nahrungsmittelkette und der Ernährung in Industriestaaten. Erst mit Pollan wurden Nahrung und Essgewohnheiten zu breit diskutierten Themen in der amerikanischen Gesellschaft und Politik. Er hat vier “New York Times”-Bestseller geschrieben: “Die Botanik der Begierde” (2001), “Das Omnivoren-Dilemma” (2006), “Lebensmittel: Eine Verteidigung gegen die industrielle Nahrung und den Diätwahn” (2008) und “64 Grundregeln ESSEN” (2010). In seinem neuen Buch “Kochen: Eine Naturgeschichte der Transformation” setzt sich Pollan mit Kochen auseinander – dem Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Nahrungsverzehr. Pollan wurde 1955 auf Long Island (New York) geboren. Er hat drei Schwestern. Seine älteste Schwester Tracy Pollan ist Schauspielerin und mit Michael J. Fox verheiratet. Der Wahlkalifornier lebt mit seiner Frau, der Malerin Judith Belzer, und seinem Sohn Isaac in Berkeley und lehrt Wissenschafts- und Umweltjournalismus an der University of California, Berkeley. Pollan schreibt u.a. für die “New York Times”.
Foto: Alia Malley
Mit welcher Fertignahrung haben Sie dann ein Problem?
Mit Nahrungsmitteln, die wir hier in den USA “ultra-processed food” nennen. Sie enthalten zahlreiche nicht erkennbare Zutaten. Brauchen wir wirklich komplett von der Industrie gekochte Mahlzeiten? Nein. Diese Essen sind teuer, verschwenderisch und überflüssig. Viele enthalten zu viel Zucker, Salz und Fett. In den vergangenen zehn, zwanzig Jahren hat die Produktion und der Verzehr dieser Gerichte stark zugenommen. Das hat maßgeblich zur enorm hohen Fettleibigkeit unter Amerikanern beigetragen. Essen ist nicht einfach so ein “Zeugs”, das wir drei Mal täglich oder häufiger in uns hineinstopfen. Wir sollten uns Gedanken über die Folgen für die Erde, unseren Körper oder unsere Familie machen.
Können Sie denn mit Ihren Büchern direkt Verhalten beeinflussen?
Mein Buch “Das Omnivoren-Dilemma” machte aus vielen Menschen bewusste Esser, die sich gegen den Konsum von Fleisch entschieden, weil ich sie darin über die Massentierhaltung aufklärte. Es brachte aber auch Leute dazu, sich für den Verzehr von Fleisch zu entscheiden, weil sie mehr über eine Art der ökologischen Landwirtschaft erfuhren, die sie unterstützen wollen. Wenn Leute die richtigen Informationen haben, treffen sie intelligentere Entscheidungen.
Für “Kochen” haben Sie gelernt, Bier zu brauen, Käse und Gemüse zu fermentieren und Brot zu backen. Alles recht langsame und schwierige Techniken, die von Zeitnot geplagte Leute wohl eher selten ausprobieren dürften.
“Kochen” ist kein Buch mit 20-Minuten-Rezepten für gestresste Berufstätige. Wie all meine Bücher befasst es sich eingehend mit Dingen, die wir zu wissen glauben. Es erklärt, wie Kochtechniken über die Jahrhunderte entstanden sind und welche Rolle sie spielen. Ich hoffe, es zeigt, wie bereichernd und ökonomisch Kochen sein kann und dass wir dafür ruhig einen Teil unserer Freizeit opfern können.
Aber was hindert mich daran, in meiner eigenen Küche ungesundes Junkfood zuzubereiten?
Wer selber kocht, isst garantiert automatisch viel weniger Junkfood. Ich liebe Pommes aus der Friteuse. Aber wer kocht die schon selber? Viel zu aufwendig – schon, weil man danach die halbe Küche putzen muss. Kocht sie hingegen ein Fastfood-Restaurant für uns, können wir sie locker dreimal täglich essen, und das ist ungesund. Schon deshalb sind zuhause zubereitete Mahlzeiten weniger problematisch. Amerikanische Schulen müssen einfach wieder Hauswirtschaftslehre einführen – und zwar für Mädchen und Jungs. Wir brauchen zudem Gesundheitswerbekampagnen, die klarmachen, dass öfter selbst zu kochen das beste Rezept für die Gesundheit der Familie ist.
Wie kommt es, dass vor allem die Amerikaner so viele komplett von Konzernen zubereitete Mahlzeiten konsumieren?
Die Nahrungsmittelhersteller verdienen schlicht mehr Geld mit solchen Gerichten. Es ist schwieriger, mit dem Verkauf einfacher, möglichst naturbelassener Nahrungsmittel die gleichen Gewinne zu erwirtschaften. Die Industrie versucht seit 100 Jahren, uns als Koch abzulösen, um so ihre Umsätze zu steigern. Und mit dem Aufstieg von Fastfood in den 60er und 70er Jahren ließen sich viele Menschen dazu bringen, das Kochen an Konzerne auszulagern. Der Markt sagt uns dauernd, dass wir alles, was wir auslagern können, auslagern sollen. Das ist die Ideologie des Konsumkapitalismus: Verrichte deine Arbeit – in meinem Fall Bücher schreiben. Nimm das damit verdiente Geld und konsumiere alles andere. Es ist eine lähmende Art zu leben. Man hat nur ein Geschick und kann nicht für sich selbst sorgen. Dabei ist Selbstversorgung etwas unheimlich befriedigendes. Und es verleiht einem Macht, wenn man selber kocht, ein bisschen was anpflanzt, sein Auto oder seine Kleider reparieren kann. Wir trainieren damit Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit – Eigenschaften, die wir in unserer modernen Gesellschaft verlernen.
Jeder kann sich frei für oder gegen industriell verarbeitete Nahrung entscheiden…
Die Industrie hat uns etwas angeboten, was schwer auszuschlagen war. Wir sind alle dauernd im Zeitdruck – wir Amerikaner noch mehr als die Europäer. Unsere Arbeitstage sind länger, wir haben weniger Urlaub. Einer der größten Unterschiede: Unsere Gewerkschaftsbewegung kämpfte für Geld, die in Europa für Zeit. Und nun bezahlen wir den Preis dafür. Wir haben keine Zeit zum Kochen.
Aber es ist doch nicht so schwierig, einen Teller Pasta zu kochen?
Man kann Leuten innerhalb von zwei Stunden einiges beibringen. Aber viele Menschen sind unsicher oder haben niemanden, bei dem sie zuschauen und lernen könnten. Hinzu kommt, dass die Leute zu viele Kochsendungen anschauen, in denen Köche gegeneinander antreten und in denen Kochen unglaublich schwierig erscheint. Es sieht in solchen Shows eher wie ein Kampfsport aus, den man am besten Profis überlässt. Das ermutigt keinen, sich in die Küche zu stellen. Ich nenne es das Koch-Paradox: Millionen Menschen verbringen mehr Zeit, im Fernsehen zuzuschauen, wie gekocht wird, als selber zu kochen.
Viele Menschen verdienen mit ein paar Stunden Arbeit mehr, als sie in einer Woche zuhause kochen sparen können.
Der US-Schriftsteller und Farmer Wendell Berry sagt: Essen ist ein landwirtschaftliches Unterfangen…
…er meint damit: was wir essen, prägt, wie Land und Boden genutzt werden.
Genau. Und ich würde hinzufügen, dass Kochen auch ein solcher landwirtschaftlicher Akt ist. Und auch ein politischer. Wer sich entscheidet, die Industrie ein bisschen mehr auf Distanz zu halten, wählt weniger Abhängigkeit, weniger blinden Konsum. Man kauft mehr Grundnahrungsmittel ein. Man kann man seine Werte als Bürger einbringen. Das ist im Fastfood-Restaurant oder am Fertiggerichte-Regal im Supermarkt sehr schwierig.
Kochen also quasi als Akt des Widerstands?
Das ist die eigentliche Botschaft von “Kochen”. Ich schreibe über Nahrungsmittel. Aber ich hätte über jede Art der Produktion schreiben können, die wir wieder selber übernehmen können.
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(Dieses Interview wurde im Mai 2013 für die Veröffentlichung auf Deutsch geführt.)